BÜS 85
"Forelle von Kollmar"
Forelle von Kollmar
BÜS 85 „Forelle“ – Eigner Hans Schülke. Baujahr 1932 gebaut bei Dawartz in Tönning.
Seit 2023 im Besitz des Museumshafen Büsum e.V.
Am 11. Mai 2023 ist die „Forelle von Kollmar “ das erste mal im Büsumer Museumshafen, seinem alten Heimathafen eingelaufen. Seitdem werden regelmäßige Fahrten und Open Ships für Interessierte angeboten.
Weiteres zu unserem neuen Schiff folgt in kürze.
Geschichte
1932 BÜS 85 Forelle – Büsum
…. weitere Infos folgen
bis 2023 Forelle von Kollmar – Seestermühe
11.05.2023 Forelle von Kollmar – Büsum
Bootsführer: Willi Bruns
E-Mail: info@museumshafen-buesum.de
“FORELLE VON KOLLMAR”
Rückkehr eines historischen Gaffelkutters nach Büsum
Es ist der neueste Schatz des Hafens. Ein altes Büsumer Familienmitglied, wenn man so will, das seinen Weg zurück in den Heimathafen gefunden hat. Das Boot steht in voller Pracht. Die lange Pinne mit dem Drachenkopf, die Korallenblöcke am Mast, der meterlange Klüverbaum. Auf den Belegnägeln hängen die Schoten, über den versenkten Bullaugen aus Messing baumeln die Fallen. Es riecht nach Historie, nach vergangenen Epochen.
Ein Stück Zeitgeschichte norddeutscher Seefahrtstradition
Einen alten Gaffelkutter, ein ausgedientes Motorrettungsschiff der Seenotretter, eine Ankergalerie und den originalgetreuen Nachbau des ersten Büsumer Leuchtturms haben sie schon. Nun dieses Sahnestück. Fohrmann ist sichtlich stolz auf den jüngsten Neuzugang, der bereits so viele Jahre auf dem Buckel hat. Das Boot ist ein Stück Zeitgeschichte, ein Denkmal norddeutscher Seefahrtstradition.
„Aber wo anfangen?“, sagt Fohrmann, und Respekt schwingt in seinen Worten mit. Aus gutem Grund. Die „Forelle“, das Schiff, auf dem er steht, ist mehr als dreimal so alt wie er selbst. Es kennt die Strömungen, den harten Grund des Watts. Es kennt die Sände am Lüchtergrund, das Flüstern der Priele, das Gurgeln der Elbe. Das Schiff hat gelebt und geschuftet, gezittert und gezerrt. Ein kleiner Haudegen unter Segeln, dessen Größe erst begreift, wer eine Zeitreise zurück unternimmt.
Als der Büsumer Hans Schülke den Kutter vor über 90 Jahren bei der Dawartz-Werft in Tönning in Auftrag gibt, hat er keinen eleganten Riss im Sinn, keine gemütliche Kajüte und schon gar keine genüsslichen Sommertörns. Das neue Boot soll nur eins: für die tägliche Arbeit auf See taugen. Auf einem alten Foto ist Schülke zu sehen. Er trägt einen Troyer, Schiffermütze, das Gesicht bartlos und markant. Es ist die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen – und Schülke ein Krabbenfischer auf der Nordsee.
Einhand Krabbenfischen
1932 geht seine „Forelle“ ins Wasser. Der stäbige Kahn ist zehn Meter lang, knapp drei Meter breit und hat nur wenig Tiefgang. Ein Schiff, das für die Besonderheiten des Wattenmeers konzipiert ist. Es muss flach genug sein, um zwischen den trockenfallenden Sandbänken zu kreuzen. Seetüchtig genug, um den grimmigen Westwinden zu trotzen. Und schnell genug muss es segeln, um mit dem letzten Tidenschub wieder reinzukommen, damit sich der Fang an der Pier noch für einen guten Preis verkaufen lässt.
Auch das muss das Boot können: bis zu 400 Kilogramm Krabben aufnehmen, dem Druck voller Netze standhalten und sich dabei möglichst einhand bändigen lassen. Der Nordseefischer Schülke ist auf einem weiteren Foto aus den alten Tagen zu sehen. Das Schiff läuft gerade aus, am Mast hängt ein mächtiges Fangnetz – derweil Schülke allein am Ruder steht.
Zwei Klüver besitzt das Boot damals, einen vorn, einen achtern. Das Deck dient rein zum Arbeiten, einen Kajütaufbau gibt es nicht. Stattdessen ist überall Fanggeschirr gestaut. Fischkisten stehen herum, Spiere und Kurren sind gelascht. Ein 18-PS-Motor treibt die „Forelle“ nach See hinaus, diesen stolzen Krabbenkutter, der die Kennung „BÜS 85“ auf seiner weiß gepönten Schnauze trägt und dessen Kapitän hinter dem „Gold der Nordsee“ her ist.
Kutter nach englischem Vorbild
Die Jagd auf die Sandgarnelen gilt als eine der ältesten Kulturtechniken der Nordseefischerei. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts nimmt das Geschäft an der Westküste Schleswig-Holsteins Fahrt auf. Die Industrialisierung setzt ein, die Menschen wollen Fisch und gehaltvolle Nahrung, vor allem in den Städten wächst die Nachfrage. Nachdem die Krabben in der Landwirtschaft lange Zeit als Viehfutter gedient hatten, werden die Schalentiere zunehmend begehrter. Den Fischern winkt ein guter Verdienst – doch es wartet beinharte Arbeit auf sie.
Die damals typischen Krabbenkutter sind rustikale Fahrzeuge. Ein Gustav Junge aus Wewelsfleth ist einer der Pioniere, der kurz vor 1900 einen eigens fürs deutsche Watt gedachten Schiffstyp konstruiert hat. Seine Kutter sind den englischen Smacks nachempfunden, einmastigen Segelschiffen, die Mitte des 18. Jahrhunderts für die englische Marine entwickelt wurden: einfach zu bedienende und äußerst seetüchtige Flitzer, die bald auch in der Fischerei zum Einsatz kommen.
Die Kutter haben ein breites Heck, sind mit einem Gieksegel, einer Fock und einem Klüver bestückt. Am Bug ist ein winziges Logis vorgesehen, ein einfacher Unterschlupf für maximal zwei Mann. Doch Zeit zum Ausruhen bleibt kaum. Netz rein, Netz raus. Navigieren, wenden, halsen. Dabei ständig die Tide im Nacken.
Entwicklung der Kurre
Auch das Schiff selbst muss ran wie ein Ackergaul. Es schleppt den Keitel durchs Meer, den großen Netzsack ohne Flügel, an dem Tonnen an Zugkraft zerren. Das Geschirr gilt als Vorläufer des modernen Trawling-Netzes, wobei sich daraus – speziell für den Fang der Krabben – die typische Baumkurre entwickelte. Diese besitzt einen Baum, einen Schlitten sowie bis zu 40 aneinandergereihte Rollen, die wie bei einer Gliep über den Wattgrund gezogen werden, um so die Krabben aufzuscheuchen und aus dem Sand zu locken.
Bis zu zehn Meter breit sind die Kurren, gehalten durch einen schweren Querbaum. Das Netz selbst misst gut zwölf Meter Länge, wobei der Fang schließlich im Steert landet, im feinmaschigen Ende des Netzes. Um dieses einzuholen, ist blanke Muskelkraft gefragt. An Bord gibt es lediglich eine handbetriebene Winde. Und kaum ist die erste Ladung Krabben an Bord, landet die rohe Delikatesse in einem eisernen Kessel auf dem Vordeck. Die Tiere müssen noch auf See gekocht werden.
Fast zehn Jahre lang fährt Hans Schülke ins Watt hinaus, um sein täglich Brot zu verdienen. Danach verlieren sich seine Spuren – nicht jedoch die seines Schiffs, das noch immer den Namen „Forelle“ trägt. 1941 übernimmt es ein gewisser Hans-Albert Jakob-Schülke, vermutlich ein Fischer aus der Familie.
“Forelle” in Kriegszeiten
Es folgen düstere Jahre. Spätestens im August 1943 bekommt auch der Messbrief der „Forelle“ den Hakenkreuzstempel aufgedrückt – viele Fischer an den Küsten werden eingezogen, müssen sich und ihre Boote dem Kriegsdienst der Marine unterordnen. Laut der „Weisung Nr. 16“ gilt es, die „Operation Seelöwe“ vorzubereiten: die Einnahme Englands.
In Büsum liegt damals eine der größten Fischereiflotten der Nordsee. Vor der Küste finden zahlreiche Übungen statt. Wie der Büsumer Archivar und Zeitzeuge Kurt Winter berichtet, nahmen 75 von 91 Kuttern daran teil, darunter die „Forelle“. Während andere Kutter bis Kriegsende nach Dünkirchen befehligt werden, wird Schülkes Schiff der „Hafenschutzflottille Borkum“ zugeteilt, nunmehr mit der Kennung „D 55 K Nebelträger“. Die Nordsee und ihre Inseln dienen als Schutzwall vor dem Atlantik, und Hitler lässt Bunker bauen, Schützengräben ausheben, Unterstände und Stellungen errichten. Die Nordseeküste als Wehranlage.
Die „Forelle“ übersteht den Krieg. Und darf wieder fischen. 1952 übernimmt sie der Eiderstedter Seemann Willi Unbehaun, 1956 der Krabbenfischer Günter Gericke aus Tönning. Unter Boje Meyer junior als nächstem Eigner startet das Boot im Sommer 1958 bei der Kutterregatta der Tönninger Fischerflotte. Man segelt ums Blaue Band der Eider. In ihrer Gruppe kreuzt die „Forelle“ als Erste die Ziellinie.
Vom Arbeitsboot zum Freizeitboot
Fast 30 Jahre harten Dienst hat der kleine Kutter auf dem Buckel, als das Leben eine Spur gemütlicher wird: 1960 geht das Schiff in Privatbesitz über. Die Eigner bauen die Kajüte aus, lassen einen Aufbau aufs Deck setzen. Die „Forelle“ bekommt Backskisten zum Sitzen, eine schöne Kombüse und Kojen zum Schlafen: zwei im Salon, dazu eine ordentliche Vorschiffskoje.
Es ist die Zeit, als das Segeln langsam ein breiteres Publikum findet und Freizeitboote mehr und mehr auch als Tourenschiffe genutzt werden. Der alte Nordseekahn ist zwar kein eleganter Kreuzer, keine schnittige Yawl mit langen Überhängen – allemal aber ein erfahrenes Wattschiff, das fortan Kind und Kegel unerschrocken durch die Fluten trägt. Kurz, die „Forelle“ ist jetzt ein Sportboot.
Wer genau mit dem hübschen Kutter in den nachfolgenden Jahren die Nord- und womöglich auch die Ostsee erkundet, ist nicht bekannt. Seit 2010 jedenfalls ist es eine Familie im Hamburger Raum, die sich des Krabbenkutters annimmt. Der Innenausbau aus den Sechzigern wird restauriert, die Technik überholt. Das Schiff erhält einen neuen Mast, neue Segel, laufendes und stehendes Gut werden getauscht. Und: Lack, Lack, Lack. Malte Fohrmann: „Die Familie muss alle Energie und Liebe in das Schiff gesteckt haben, das Boot glänzt an allen Ecken und Enden.“ Sogar einen Hubzähler hat sie eingebaut, um zu prüfen, wie oft die Lenzpumpe anspringt. „Das zeigt die Hingabe, mit der das Boot zuletzt betrieben wurde.“
Die “Forelle” kehrt zurück nach Büsum
Im Herbst 2022 jedoch steht die „Forelle“ abermals zum Verkauf. Es mag dafür private Gründe geben, vielleicht ist auch der Aufwand, das Schiff derart penibel zu erhalten, am Ende zu groß. Der Bootsbauer des Museumshafens, Carsten Buchholz, und einige andere aus dem Büsumer Verein schauen sich das Boot an der Elbe an. Ohne wirklich zu wissen, was sie erwartet. Dann das große Aha-Erlebnis: Das Schiff ist makellos und wunderschön. Hinzu kommt die ungeahnte Historie des Kutters. Ohne Frage: Die alte „Forelle“ muss unbedingt zurück in ihre Heimat Büsum!
Zum Glück findet sich ein Spender, der den Kauf ermöglicht. Uneigennützig. Aus reiner Verbundenheit zur Küste und zu den lieben Schiffen. Die Verkäufer von der Elbe stellen nur eine einzige weitere Bedingung: Der sehr gute Zustand des Kutters soll erhalten werden! „Ehrensache, genau darum geht es uns“, sagt Malte Fohrmann, „die alten Schiffe ordentlich in Schuss zu halten.“
Im Mai 2023 folgt der Überführungstörn. Von Seestermühe an der Elbe zurück nach Büsum, in einem Rutsch mit der Tide. Die Fahrt allerdings findet unter Motor statt. Der Wind schwächelt, und man will den hartgesottenen Krabbenkutter unbedingt schnell nach Hause bringen. An der Seite des alten Rettungsboots „Rickmer Bock“ und des historischen Gaffelkutters „Fahrewohl von Büsum“ fährt nunmehr das dritte vereinseigene Schiff in den Hafen ein.
Willkommensfeier für die “Forelle”
Am Pfingstsamstag gibt es eine Party unten am Leuchtfeuer. Der alten Dame zu Ehren. Willi Bruns, ihr neuer Skipper, ist anwesend. Thorsten Bohlmann und Volker Schlegel als Schriftführer und Crewmitglied. Der Kassenwart Andreas Schemionek ist dabei, dazu eine ganze Traube weiterer Begeisterter. An die 500 Mitglieder zählt der Verein des Büsumer Museumshafens. Und auch wenn sich am Ende ein harter Kern um die Schiffe kümmert und sie segelt – in heutiger Zeit ist dies eine kleine Sensation. Der alte Kutter ist wieder „tu Hus“ und soll demnächst in „Forelle von Büsum“ umgetauft werden. Am Bug endlich wieder die einstige Kennung: BÜS 85.
Anfang Juli aber steht noch mal eine Art Jungfernfahrt für den Verein an: das erste Mal die Segel setzen und die „Forelle“ unter vollen Tüchern selbst über die Nordsee vor der Haustür steuern. Fohrmann, Skipper Bruns, der Bootsbauer und einige aus der Crew sind an Bord. Die Sonne lacht, ein leichter Westwind geht. Das Großsegel parat machen, die beiden Vorsegel anschlagen. Fallen klarieren, die Schoten durch die Holzaugen führen.
Trotz des Umbaus in den sechziger Jahren besitzt die „Forelle“ noch immer viele Originaldetails aus der Anfangszeit: die massiven Blöcke, die stäbige Schanz. Die Stützen der Seereling, die einfach durchs Dollbord gesteckt und mit einem Splint gesichert sind. Darunter: freie Bahn, um Krabbenreste und Fischgedärm von Deck zu spülen. Alles Wasser fließt ungehindert durch die Speigatten ab.
Ein Kutter, der über die Jahre die Lust aufs Meer nicht verloren hat
Die Männer fahren raus, der Motor – ein 25-kW-Diesel aus den Sechzigern – tuckert gemütlich vor sich hin. Dann liegt das Watt vor dem Bug. Die Handgriffe müssen noch eingeübt werden, das Setzen des Gaffeltopps, das Heißen des Großsegels mit den Mastrutschern. Doch bald stehen die Segel, bläht sich der Klüver, schweigt der Motor. Die „Forelle“ segelt, flutscht übers Wasser.
Schnell gewinnt sie an Fahrt, krängt nur leicht, macht sich prächtig. Als seien keine neun Dekaden über das Schiff hinweggezogen, gute Zeiten, grausame Zeiten, neunzig Jahre, in denen der Kutter das Segeln und die Lust aufs Meer doch nie verlernt hat. Im Gegenteil.
Wer an diesem Tag mit an Bord sitzt, wer dem Kahn am Wind und seinen Bewahrern zuschaut, könnte auf die Idee kommen, dass manche Schiffe tausend Leben haben. Die Forelle Büsumer Art ist so eins. Typ Nordsee, nicht totzukriegen.
Quellen:
Beitrag in der Yacht: Europas größtes Magazin rund um's Segeln
Fotos & Text Marc Bielefeld